Holger und Oliver Goetzendorff
Auf der Suche nach Schönheit in den Gesichtern und Zähnen der Menschheit
Javier Martínez de Pisón, Alicante

Umschlag des neuen Buches „Gesichter und Zähne, Zahnkosmetik in alten Zeiten“, Gesichter und Zähne von den Ägyptern bis zu den Mayas, ergänzt durch einen neuen Blick auf das heutige Konzept von Schönheit. Der Einband zeigt einen Schädel mit Türkiseinlagen aus einem Grab in Monte Alban, Mexiko.
D.R. © Oliver Santana/Arqueología Mexicana/ Raíces, mit freundlicher Genehmigung von Maestra Nieves Noriega de Autrey. Grafische Gestaltung des Umschlags: Eduardo Sanín.
Die Suche nach einem schönen Lächeln ist ein ewiges Thema in der Geschichte der Menschheit. Seit jeher sind wir auf der Suche nach Schönheit, vom Goldenen Schnitt der alten Griechen bis zu den göttlichen Proportionen von Leonardo da Vinci. In der Renaissance hat sich das Wesen der Schönheit aus dem Verhältnis 1:1,6 ergeben, das seither als die mathematische Formel für Schönheit gilt. Aber was genau macht ein Gesicht schön?
Es war schon immer schwierig die Merkmale dafür festzulegen, was schön oder nicht schön ist. Das Lächeln der Mona Lisa zum Beispiel folgt fortschrittlichen ästhetischen Prinzipien in Komposition, Design und Kunstfertigkeit und gilt zu Recht als Meisterwerk. Gleichzeitig ist es aber auch das rätselhafteste Lächeln in der westlichen Kunst.
Die Entwicklung der Ästhetik im Laufe der Geschichte und insbesondere die der Zähne, das Formen und Einrahmen des Gesichtes wie auf einer Leinwand, steht im Mittelpunkt eines neuen Buches mit dem Titel: „Gesichter und Zähne, Zahnkosmetik in alten Zeiten“, das die Verschiedenheiten bei den Zivilisationen von den Ägyptern bis zu den Maya nachzeichnet sowie das zeitgenössische Konzept von Schönheit erörtert.
Das Buch, eine dreisprachige Ausgabe in Deutsch, Englisch und Spanisch sowie einem Originalartikel in Portugiesisch, wurde in sechsjähriger Arbeit erstellt und ist mit rund 460 Abbildungen illustriert. Die Autoren Holger Goetzendorff und Oliver Goetzendorff vermitteln neues Wissen, unter Verwendung von Originalfotos, aktuellen wissenschaftlichen Artikeln und Recherchen vor Ort. Darüber hinaus bietet es Erkenntnisse, dass die Malerin Frida Kahlo ihren mexikanischen Zahnarzt mit Kunstwerken bezahlte, oder dass eine ägyptische Mumie im Britischen Museum in ihren besseren Zeiten einen Zahnersatz trug.
Das Buch bietet auch einen Einblick in die Geschichte der Maya-Zivilisation. Die Kapitel, die sich mit der Entzifferung der Hieroglyphenschrift der Maya, ihren Kunstwerken, Symbolen und ihrer Mythologie befassen, werden durch einen Essay eines Experten des renommierten archäologischen Museums in Guatemala ergänzt.

3000 Jahre alte Olmekenmaske aus Jade und mit eingelegten Halbedelsteinen, die auf der Rückseite des Buches „Gesichter und Zähne, Zahnkosmetik in alten Zeiten“ abgebildet ist. Privatsammlung
Camilo A. Luín, Kurator des Popol-Vuh-Museums in Guatemala, erklärt den Kreislauf von Leben und Tod und die Bedeutung der Maisernte in der Maya-Kultur. Mais war für diese Hochkultur das wichtigste Nahrungsmittel. Die ursprüngliche Geschichte, die auf der abgebildeten Maya- Vase dargestellt ist, erzählt vom Tod und der Wiedergeburt des Maisgottes. Luín beschreibt in verständlicher Sprache diesen komplexen Mythos, der in drei verschiedenen Szenen auf der Vase erzählt wird. Es wird die Reise des Maisgottes in einem hölzernen Kanu in die Unterwelt gezeigt. Er wird begleitet von zwei übernatürlichen Rudergöttern in Tiergestalt,
bis er aus dem Rachen einer Wasserschlange wiedergeboren wird, um die Maya mit Nahrung zu versorgen.

Die obige Maya-Vase zeigt die Reise des Maigottes in einem hölzernen Kanu in die Unterwelt, wo er aus dem Rachen einer Wasserschlange wiedergeboren wird.
Sammlung des Museo Popol Vuh, Universität Francisco Marroquín. Foto: Jorge Pérez de Lara.
Überraschend sind die Bilder eines geheimnisvollen Maya-Zahns unbekannter Herkunft mit einer Jade-Einlage. Ein einmaliges Stück, das Behandlung und Kunstfertigkeit vereint. Wenn sich die Echtheit des Zahnes herausstellen sollte, ist er ein Beispiel für das fortgeschrittene zahntechnische Niveau der Maya.

Backenzahn mit Jade-Inlay. Museo Popol Vuh, Guatemala-City. Foto: Marcelo Gutiérrez, 2020
Holger Goetzendorff, Apotheker und Pharmaziehistoriker, berichtet in einem Kapitel über die Verwendung von Heilkräutern in der Neuen Welt und verändert unser Wissen über das Symbol, das mexikanische Zahnärzte. Das Symbol basiert auf ein Wandgemälde in der antiken Stadt der Pyramiden (Teotihuacán), die der Sonne und dem Mond gewidmet ist.
Die Ästhetik der Masken afrikanischer, indonesischer und pazifischer Inselvölker wird ebenso dargestellt, wie das rituelle Feilen der Zähne durch die Wikinger.

Scharfe Zähne auf einer Holzmaske aus Angola zeigen die Zähne als Waffe gegen den Feind, um 1970. Privatsammlung
Das Buch enthält die Bibliografie der Werke des mexikanischen Zahnarztes Jorge Fastlicht, Sohn von Samuel Fastlicht (1902-1983). Jorge gründete die Sala de la Odontologia Mexicana, das erste der Zahnmedizin gewidmete Museum in Mexiko, und hat das Geleitwort von „Gesichter und Zähne, Zahnkosmetik in alten Zeiten“ geschrieben. Samuel Fastlicht, der nicht nur ein persönlicher Freund, sondern auch der Zahnarzt von Frida Kahlo war, nahm Gemälde für seine Behandlungen in Zahlung, wie das im Buch abgebildete „Stillleben“ (1952). Ihre persönliche Beziehung ist aus einem Brief aus dem Jahr 1948 ersichtlich. Frida entschuldigt sich bei Dr. Fastlicht für die Verzögerung bei der Fertigstellung eines „Selbstporträts“, weil sie unter Schmerzen leidet, und erklärt, dass das Gemälde „den genauen Ausdruck meiner Gefühle“ zeigt.

Jorge und Samuel Fastlicht. Foto: Privatbesitz Jorge Fastlicht Ripstein

Das oben abgebildete Museum für Zahnmedizin am Zócalo-Platz von Mexiko-Stadt wurde von Jorge Fastlicht gegründet. Foto: Holger Goetzendorff, 2017
Die Gegenwart wird durch den brasilianischen Zahnarzt Sidney Kina vertreten. Es ist ein aufschlussreiches und provokantes Essay, in dem Kina die Frage stellt, ob unsere zeitgenössischen ästhetischen Konzepte überhaupt eine Bedeutung haben. In einer gut begründeten Erzählung erörtert er die Idee des Philosophen Alexander Baumgarten aus dem 18. Jahrhundert von der Ästhetik als einer Form des Wissens, die durch die Sinne wahrgenommen wird, bis hin zu der seltsamen Mode, sich die Zähne schwarz anmalen zu lassen. Für die alte japanische Aristokratie war das ein Symbol für Schönheit und sozialen Status.
Ob schön oder hässlich, gut oder schlecht, das liege im Auge des Betrachters, schreibt Kina, der sein Essay mit der Feststellung schließt, dass „wir so schön sind wie unsere Überzeugungen“, und dass der Respekt vor unterschiedlichen Ästhetiken, Empfindungen und persönlichen Vorstellungen der Anderen das Wesen der Demokratie ausmacht.
Eines der besonderen Kapitel in diesem Buch, voller origineller Ideen und Bilder, ist die Darstellung monumentaler Skulpturen einer untergegangenen Zivilisation im Dschungel von Kolumbien. Der Autor Oliver Goetzendorff erforscht die archäologische Stätte der San-Agustín- Zivilisation, um die Bedeutung der Gesichter und Zähne, die auf den imposanten Statuen dargestellt sind, zu ergründen. Es sind Zähne, die auf die mythologische Kraft von Jaguaren, Alligatoren, Affen und Schlangen verweisen, die uns aus einer fernen, geheimnisvollen Vergangenheit heraus anblicken. Die dargestellten Tiere verweisen auf eine Herkunft des untergegangenen Volkes aus dem Amazonasgebiet.
Dieses Buch ist der Versuch, eine neuartige Perspektive der ästhetischen Muster, Verzierungen und Mutilationen im Gesicht, den Zähnen von Gemeinschaften, Stämmen und Zivilisationen aufzuzeigen.

Basaltskulptur eines Mannes, der eine Maske des Maisgottes trägt, Veracruz, Mexiko. Privatsammlung
Wir haben kürzlich mit den Autoren gesprochen, die das Buch auf der IDS 2025 in Köln und auf der Leipziger Buchmesse vorstellen werden.
Woher kommt die Idee für Ihr Buch?
Die Idee stammt von einer 2017 im Nationalmuseum für Anthropologie in Mexiko-Stadt gezeigten Ausstellung mit dem Titel „Mayas, die Sprache der Schönheit. Aus verschiedenen Perspektiven“ („Mayas, el lenguaje de la belleza. Miradas cruzadas“). Die Ausstellung gewährte einen Einblick in Kunst und Ästhetik der Maya-Zivilisation.
Wie verlief die Recherche für das Buch und wie lange dauerte sie?
Ausgangspunkt für unser Buch waren die Zahnbearbeitungen bei verschiedenen Völkern, insbesondere bei den Maya in Mesoamerika. Erkenntnisse aus Besuchen vor Ort, in Museen und Kultstätten und Literaturquellen bildeten die Grundlage für dieses Buch. In der sechsjährigen Entstehungszeit konnten zahlreiche neue Erkenntnisse berücksichtigt werden.
Waren Sie überrascht, dass so viele alte Zivilisationen Zahnbehandlungen praktizierten? In der Tat.Schon 1200 Jahre vor den Maya gab es zahnärztliche Behandlungen bei den Phöniziern und Etruskern. Zahnverschönerungen lassen sich bei vielen Kulturen nachweisen, weil Zähne Jahrtausende überdauern.

Oliver und Holger Goetzendorff, Autoren von „Gesichter und Zähne, Zahnkosmetik in alten Zeiten“, beschreiben, dass die Maya antimikrobielle Substanzen im Zahnzement verwendeten, die so wirksam waren, dass die Zahninlays ein Leben lang hielten.
Was können Sie über die zahnmedizinischen Behandlungen der Ägypter erzählen?
Die Ägypter reinigten die Zähne und behandelten sie mit entzündungshemmenden Tinkturen (Papyrus Ebers). Es gibt bisher keine Nachweise für das Anbohren von Zähnen oder einen Zahnersatz.
Was ist mit der Behauptung in dem Buch, dass eine ägyptische Mumie einen Zahnersatz trug? Erstmals wird in diesem Buch die Hypothese aufgestellt, dass eine in London befindliche Mumie Hinweise auf einen Zahnersatz zeigt. Ein Modell veranschaulicht diese Vermutung.
Ein großer Teil des Buches befasst sich mit den Zahnverschönerungen der Maya. Warum? Im Gegensatz zu anderen Kulturen setzten die Maya bei höherstehenden Personen Halbedelsteine oder andere Materialien in die Frontzähne ein. Die lange Haltbarkeit dieser Inlays beruht nach neuesten Forschungen auf der Verwendung von antimikrobiellen Substanzen im verwendeten Zahnzement.
Welche Bedeutung hat der 1200 Jahre alte Maya-Backenzahn mit Jade-Inlay, von dem Sie sprechen?
Hierbei handelt es sich um ein Einzelexemplar und weitere Forschungen sind erforderlich, um das vermutete Alter nachzuweisen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein nicht sichtbarer Backenzahn mit einem Schmuckstein ausgestattet wurde.
Was können Sie mir über die Arbeit des mexikanischen Pioniers der Zahnmedizin Samuel Fastlicht erzählen?
Samuel Fastlicht hat zum ersten Mal systematisch Maya-Zähne untersucht und zahlreiche Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht.
Eines seiner Bücher zeigt auf dem Umschlag das Symbol der mexikanischen Zahnärzte, ein Bildnis aus den Wandmalereien von Tepantitla (Teotihuacán). Sein Sohn Jorge hat das Fastlicht-Museum in Mexico-City gegründet.

Detaillierte Untersuchungen der Autoren zeigen, dass ein populäres Bild des Wandgemäldes von Tepantitla in Teotihuacán nicht, wie angenommen, eine Zahnbehandlung darstellt. Foto: Holger Goetzendorff, 2017
Was hatte Frida Kahlo mit dem Zahnarzt Samuel Fastlicht zu tun?
Frida Kahlo hat einen Teil der Behandlungen mit selbst gemalten Bildern bezahlt. Ungewöhnlich war, dass Frida den Namen von Samuel Fastlicht in die Bilder eingefügt hat.

Maya-Tonvase, die einen Krieger mit Fledermausmaske zeigt, Guatemala. Privatsammlung
Warum haben Sie ein Kapitel über das Konzept der Zahnästhetik des brasilianischen Zahnarztes Sidney Kina aufgenommen?
Kina ist ein bedeutender Vertreter der modernen zeitgenössischen Zahnverschönerung, der handwerkliche und philosophische Aspekte mit seiner Arbeit verbindet.
Was sagen uns die Verfahren der Zahnverschönerung, des Zahnersatzes und der Zahndekoration in den verschiedenen Kulturen?
Zähne prägen den Gesichtsausdruck der Menschen, deshalb sind Zahnverschönerungen seit je her von Bedeutung und in den meisten Kulturen üblich.
Gesichter und Zähne-Zahnkosmetik in alten Zeiten. Selbstverlag Pulheim bei Köln, 2024. XV, 460 Seiten, geb., 460 Illustrationen.
ISBN 978-3-00-078617-4